Aktuelle Rechtssprechung zur Anwendbarkeit der Scharia in Österreich

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Aktuelle Rechtssprechung zur Anwendbarkeit der Scharia in Österreich

Dienstag, 17 Mai, 2011

Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert hat sich die Zahl der in Österreich niedergelassenen Muslime österreichischer und fremder Staatsangehörigkeit verdoppelt. Zum Stichtag 1. Jänner 2010 hatte ungefähr eine halbe Million Muslime ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Eine vom österreichischen Innenministerium in Auftrag gegebene Studie ergab nun, dass für fast drei Viertel der in Österreich lebenden Türken die Gebote des Islam wichtiger sind als die der Demokratie und über die Hälfte der Befragten wünscht sich die Einführung der Scharia in Österreich.


Eine unmittelbare Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass sich die österreichischen Gerichte immer öfter mit der Frage konfrontiert sehen, ob eine Regel eines an sich nach dem Gesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) maßgeblichen Rechts des islamischen Rechtskreises anzuwenden ist, oder ob die Anwendung wegen Verstoßes gegen den ordre public unterbleiben muss, da sie zu einem Ergebnis führen würde, das "mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung" unvereinbar wäre (§ 6 IPRG).


Die Frage ob Bestimmungen des islamischen Rechtskreises bzw. der Scharia gegen den ordre public verstoßen, kann sich in Österreich beispielsweise dann stellen, wenn sich in Österreich niedergelassene Angehörige eines Staates des islamischen Rechtskreises in familien- oder erbrechtlichen Angelegenheiten an ein österreichisches Gericht oder eine andere zuständige Behörde wie z.B. ein Standesamt wenden müssen. Dann ist nämlich nach dem österreichischen IPRG ihr Personalstatut maßgebend (§§ 18, 20 und 28 IPRG) das gemäß § 9 IPRG grundsätzlich durch die Staatszugehörigkeit determiniert wird. Wenn sich nun ein muslimisches Ehepaar mit fremder Staatsangehörigkeit aber gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich hier scheiden lassen will, müssen die einschlägigen Normen ihres Heimatrechts von Amts wegen beachtet und auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft werden.
 

Der OGH musste sich in der Entscheidung 9 Ob 34/10f vom 28. Februar 2011 mit der Frage auseinandersetzen, ob das saudiarabische Eherecht in Österreich anwendbar ist. Die Höchstrichter kamen in dieser Frage letztlich zum Schluss, dass zumindest Teile der in Saudi Arabien geltenden Scharia auch hierzulande anzuwenden sind, obwohl die Regelungen für österreichische (Rechts-) Verhältnisse etwas ungewöhnlich anmuten.


Das saudiarabische Eherecht (einschließlich der Scheidungsfolgen) folgt zur Gänze der Scharia. Kommt es zu einer gerichtlichen Scheidung, hat die Frau lediglich für die sogenannte „Wartezeit“, dies sind drei Monate nach der Scheidung, Anspruch auf Unterhalt. Ein darüber hinausgehender Unterhaltsanspruch besteht nicht. Eventuell muss der Mann noch eine "Brautgabe" erfüllen. In manchen Orten ist auch die "Muta", ein einmaliger Abfindungsbetrag, üblich. Ein Unterhalt über drei Monate hinaus ist aber in keiner Weise vorgesehen.


Das erstinstanzliche Gericht sah in den saudiarabischen Eherechtsvorschriften einen Verstoß gegen den ordre public, wandte österreichisches Recht an und sprach der Frau nachehelichen Unterhalt zu. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Höchstrichter des OGH betonten jedoch, dass bei der ordre-public-Klausel "sparsamster Gebrauch" gefordert ist. Ein bloßer Widerspruch zum österreichischen Recht oder eine "schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses" reiche nicht, um ausländisches Recht ignorieren zu dürfen. Dafür müsse es sich schon um eine Verletzung der "Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung" handeln. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn das Recht auf persönliche Freiheit oder auf Gleichberechtigung verletzt wird.


Der OGH gab ein Gutachten zum saudiarabischen Eherecht in Auftrag, um sich über die dortigen Scheidungsregeln zu erkundigen. Die Höchstrichter kamen schließlich zum Schluss, dass die Regel, wonach jemand nach der Ehe nur mehr drei Monate lang Unterhalt bekommt, nicht fundamental gegen das österreichische Recht verstoße. Schließlich gelte auch hierzulande, dass bei einem beidseitigen Verschulden der Eheleute nicht zwingend ein Unterhalt zugesprochen werden muss.