Neue Sammelklagen für die Europäische Union

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Neue Sammelklagen für die Europäische Union

Montag, 9 April, 2018

Die EU Kommission will mit einem Richtlinienentwurf Sammelklagen in Europa einführen.

Die Europäische Kommission beabsichtigt, den Verbraucherschutz in Europa namhaft zu stärken. Einer dieser Stärkungen des Verbraucherschutzes soll durch die Einführung von möglichen Sammelklagen erfolgen. Den finalen Vorschlag der Europäischen Kommission stellt die Justizkommissarin Vera Jourova am 11. April 2018 vor. Danach werden die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament darüber beraten und in weiterer Folge soll die Richtlinie für alle Mitgliedstaaten in Europa verpflichtend werden.

Historisch hat die Europäische Kommission die Mitgliedsstaaten schon im Jahr 2013 aufgefordert, national die Möglichkeit für kollektive Unterlassungen und Schadenersatzklagen von Verbrauchern einzuführen. Dieser Aufforderung haben nur wenige der Mitgliedsländer der Europäischen Union Folge geleistet. Aus diesem Grund möchte die Europäische Union noch im Jahr 2018 eine Richtlinie für die verpflichtende Einführung von Sammelklagen erlassen. Die Eile des Gesetzes steht auch im direkten Zusammenhang mit dem Abgasskandal insbesondere von VW, denn den geschädigten Autobesitzern soll die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Vorgehens gegen den VW Konzern durch dieses Instrument einer Sammelklage ermöglichst werden. Da die Ansprüche der geschädigten Autobesitzer mit Ende des Jahres verjähren, ist die zuvor in Kraft tretende Einführung von Sammelklagen dringend geboten.

Nach dem Vorschlag der Kommission kann die Sammelklage regelmäßig nur von einem staatlich anerkannten Verband eingebracht werden, dessen Zweck der Schutz der Verbraucher ist und der grundsätzlich nicht auf Gewinn ausgerichtet ist. Ein derartiger Verband muss zur Erhebung einer Klage mindestens zehn gleichgelagerte Fälle anführen und vor Gericht präsentieren. Nach Prüfung dieser ersten Fälle entscheidet ein Gericht darüber, ob das Verfahren eingeleitet wird. Im Falle der Einleitung des Verfahrens müssen innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Geschädigte in ein Klageregister eintragen lassen, damit das Verfahren weitergeführt wird. In dem fortgesetzten Verfahren einer Sammelklage entscheidet ein Richter grundsätzlich nur über die Schuldfrage, die in weiterer Folge Grundlage für ein Schadenersatzverfahren sein kann. Die Kommission geht davon aus, dass im Falle eines Schuldspruches die betroffenen Unternehmen regelmäßig einen Vergleich suchen werden, ansonsten in fortgesetzten individuellen Schadenersatzverfahren dann die Schadenshöhe für jeden einzelnen Betroffenen festgestellt werden muss.

In dem Richtlinienentwurf versucht die Kommission jedoch auch ein über dieses Prinzip hinausgehendes Klagerecht einzuführen: So sollen im Falle der Einbringung einer Musterklage und in einer damit verbundenen Einleitung eines gemeinsamen kollektiven Verfahrens der Geschädigte auch bereits in diesem Verfahren der klagende Verband die Möglichkeit erhalten, den Schaden kollektiv für alle Beteiligten einzufordern und einzuklagen. Hintergrund dieser Idee sind die teilweise einzelnen Geschädigten nur minimalen Schadenersatzansprüche, die nur im Kollektiv sinnvoll eingefordert werden können. Als Anwendungsfall wird von der Kommission der Fall der massenhaften Flugstornierung von Ryan Air in jüngster Vergangenheit genannt, bei der Fluggäste keinerlei Informationen über die Stornierung der Flüge erhalten haben und die dadurch entstandenen finanziellen Schäden eine große Anzahl von Geschädigten vergleichbar ist. In einem solchen Verfahren soll ein Verband auch die Möglichkeit haben, für Fluggäste einen pauschalierten Schadenersatz einzufordern, ohne dass der Fluggast darüber im Vorhinein informiert ist. Die Einwilligung zu dem Verfahren soll erst bei Erhalt des Schadenersatzes notwendig sein.

Zahlreiche Industrieverbände wehren sich bereits jetzt gegen die von der EU Kommission vorgelegten Entwürfe zur Sammelklage in Europa. Nach Ansicht der Industrie müssen die Kläger ausdrücklich identifiziert werden und die Industrie will im Regelfall nur Verfahren nach dem Prinzip einer sogenannten Musterfeststellungsklage zulassen. Danach hätte der Verband die Möglichkeit, in einem Musterverfahren über die Schuld des Unternehmens absprechen zu lassen, die tatsächlichen einzelnen betroffenen Verbraucher erlittenen Schäden müssten diese jedoch selbständig einklagen. Der von vielen Industrieverbänden verwendete Hinweis auf die mögliche Eskalierung von Verfahren nach dem Vorbild der USA sind jedoch verfehlt, da die Ausweitung der Klagen in den USA regelmäßig auf die dort mögliche Finanzierung von Verfahren durch Vereinbarungen von Quota Litis zustande kommt. Nach dem amerikanischen Prinzip verlangen Anwaltskanzleien regelmäßig einen Anteil vom erstrittenen Klagsbetrag und eine derartige Honorierung eines Anwaltes ist in den meisten europäischen Ländern untersagt. Die Europäische Kommission wiederum hält daher den Industrieverbänden entgegen, dass ohne Sicherung der Finanzierung sich in Europa Sammelklagen nicht durchsetzen würden. Letztlich ist daher die Frage des Aufkommens der Finanzierungsmittel für die Verbraucherschutzverbände einerseits, aber auch für die sehr kostspielige Finanzierung von Sammelklagen andererseits ein wesentliches Thema.

Rechtspolitisch liefern die Sammelklagen einen berechtigten politischen Disput für beide Seiten: Zum einen stärken Sammelklagen ganz wesentlich den Verbraucherschutz, da in vielen Fällen der einzelne Verbraucher aufgrund der Geringfügigkeit des ihn betroffenen Schadenersatzes nicht den Aufwand eines teuren Gerichtsprozesses betreibt. Zum anderen werden viele von der Industrie verlangten Verbraucherschutznormen in Gerichten übertragen, wo doch in den meisten europäischen Ländern der Verbraucherschutz durch eigene vom Parlament beschlossenen Gesetze einen viel höheren Schutz erhalten haben, als dies etwa vergleichbar in den USA der Fall ist. Ungeachtet dessen ist zu erwarten, dass noch im Jahr 2018 eine europäische Richtlinie zur Einführung von Sammelklagen erlassen wird, die dann alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, die entsprechenden Gesetzesmaterien auf nationale Ebene umzusetzen.

 

Dr Christoph Kerres LLM (Georgetown)

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